Peter Ablinger:
Griffa 1
Ende 1987 wird es wohl gewesen sein, dass ich in der Bibliothek ein Buch eines Malers entdeckte, den ich zuvor nicht kannte, Giorgio Griffa. Die Bilder darin waren alle eigens für dieses Buch gemalt worden und zwar in Originalgrössen von zB. 5x5 bis 20x20cm. Die meisten Bilder bestanden aus kurzen vertikalen Strichen, die in Zeilen angeordnet wurden, wie eine Serie von i-s. Wenn eine Zeile voll war ging es weiter in der nächsten Zeile, usw., bis die Striche irgendwann einfach aufhörten. Das Aufhören war das Entscheidende. Und damit auch: die zeitliche Dimension innerhalb eines zweidimensionalen Bildes. Der Rest des Untergrunds blieb unbeschrieben. (Alles was ich hier beschreibe stammt nur aus der Erinnerung und ist daher bestimmt falsch!) Manchmal wurde das Bild fast voll, manchmal schon in der ersten Zeile abgebrochen. Immer anders, immer unvorhersehbar. Im Gegensatz dazu gab es einige vorsätzliche Variationen von Bild zu Bild. Einmal die bereits erwähnte Variation des Bildformats, dann die genaue Zeichnung der Striche - mal hatten sie eine Linksneigung, im nächsten Bild eher eine Rechtsneigung, auch die Strichstärke und wohl auch das Pigment der Pinsel und die Untergrundbehandlung variierten von Bild zu Bild. Eine Menge bewußter Entscheidungen also, alle nur gefällt, um den einen unentscheidbaren Moment zu inszenieren: das Aufhören.