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Sebastian Kiefer:


Realitatsverlust unterm Kopfhorer



Der Komponist Peter Ablinger taucht tief in die Welt der Geräusche ein - und fördert Erstaunliches zutage



Peter Ablinger holt die Welt
durch Raummikrophone wie über
Vergrößerungsgläser näher ans Ohr



WERKPORTRAT:
SEBASTIAN KIEFER

Wien Modern 08
Falter 42/08


Wer in der Kunst modern oder avanciert sein wollte, musste sich lange Zeit strengen ethischen Maximen unterwerfen: Er musste seine Wahrnehmungsgewohnheiten "durchbrechen"; sich der Produktionsverfahren "bewusst" werden; Deutungskonventionen "überwinden". Nur: Konventionen bewusst machen und neue Sichtweisen entwickeln, das kann ein Psychotherapeut ebenso gut. Und: Wozu soll man eigentlich Konventionen aus sich heraustreiben, als wären sie eine Sünde? Irritation und Änderung sind doch keine Werte an sich.

Wenn man nun sagte: Überwinde deine Wahrnehmungsweise, spreng deine Deutungsmuster, damit du eine verborgene Wahrheit erfährst - dann illustrierte man eine metaphysische Doktrin oder reproduzierte uralte theologische Motive. Man würde wiederum nicht sagen, was daran kunstspezifisch sein soll.

Der Komponist Peter Ablinger (geb. 1959) hat aus einem genauen Durchdenken dieses Grunddilemmas moderner Kunst die Leitmotive seiner Arbeit gewonnen. Im Rahmen seiner Werkschau im Berliner Haus am Waldsee hat er jüngst diese Leitmotive komprimiert zusammengeführt. Die Schau bestand aus nichts weiter als einem kabellosen Kopfhörer, der das Ohr des Besuchers schalldicht gegen die Umwelt abschloss, die Außenwelt jedoch durch eingebaute Raummikrofone wieder hereinließ.

Der Besucher flanierte durch den Park, zum Kaffeetisch, zum See, durch die Welt also" die so war, wie sie immer war - nur dass sie durch die Raummikrofone wie über Vergrößerungsgläser näher ans Ohr des Besuchers heranrückte. Die eigenen Schritte, der Wind in den Blättern, all die anonymen Geräusche und Klänge ringsum erhielten ein Gesicht, das man "lesen" konnte. Der ferne Straßenlärm rückte näher und verlor seine Hässlichkeit. Er wurde ein strukturiertes Geräusch in einem vielstimmigen Hörraum. Alles erschien wie Immer und doch in ungeahnter Präsenz. Beinahe war die Welt wieder ein großes, romantisches Konzert.



Der Besucher lachte womöglich über den kleinen Realitätsverlust; doch er wusste und sah, dass die Welt war, wie sie immer war. Er wurde zum Akteur, der das Werk vollendet - und war plötzlich nicht mehr ganz von dieser Weit. Doch er war auch in keine andere Welt entrückt. Es hatten sich lediglich die mentalen Karten verschoben: Im Gehirn verbirgt sich, wenn überhaupt irgendwo, heute eine Möglichkeit von Romantik. Mehr dazu wird von Peter Ablinger bei Wien Modern zu erfahren sein: Da ist dem österreichischen Komponisten, der seit 1982 in Berlin lebt, ein Schwerpunkt mit Konzerten, Vorträgen und einer Ausstellung gewidmet.

So einfach Ablingers Berliner Arbeit erscheint - Anregungen durch die Konzeptkunst, durch die Idee des offenen Werks und die Gedanken John Cages sind spürbar -, entfaltet sie doch gleich mehrere der Lebensleitmotive, die der Komponist meist in ganzen Werkreihen entfaltet und variiert. Die Weit des Geräusches ist eines davon. Das Rauschen von Baumblättern oder fahrenden Autos interessiert ihn jedoch nicht um des Geräusches willen; sondern vielmehr aufgrund der Fähigkeit, Illusionen auszulösen oder andere Klänge zu verbergen.

Das Rauschen des Ginsters verbirgt, wenn man genau hinhört, beinahe den Vokal "i". Das Rauschen der Holunderblätter im Wind enthält verhüllt das "a". Das sogenannte weiße Rauschen verbirgt Unmengen von Teilklängen und hat daher etwas mit der Farbe Weiß zu tun, die alle anderen Farben enthält. Und doch ist kein weißes Rauschen wie das andere. Alle sind nur "weißlich", nicht gesichtslos "weiß". Diese Nuancen untersucht Ablinger in einer seiner größten Werkreihen "weiss/weisslich".

Ablingers Berliner Kopfhörer-Arbeit variiert zudem ein zweites seiner Lebensmotive, das mit dem Interesse am weißen Rauschen eng verbunden ist: Die illusionserzeugende Fähigkeit von Klängen führt im Extremfall zu so etwas wie einer Fotografie der Welt in Klängen - zu einer "Fonografie". In seiner "Quadraturen" Reihe lässt Ablinger die Frage nach Abbildbarkeit der Welt in Tönen kunstvoll, spielerisch und mitunter ironisch in die uralte Frage nach der Nachahmbarkeit der Welt in Tönen übergehen.

"Quadraturen IIIf" etwa lässt vordergründig ein mechanisches Klavier in unmenschlich rasender Anschlagsdichte die Klangkonturen der menschlichen Stimme imitieren, die entstehen würden, wenn sie einen Brief Arnold Schönbergs rezitierte - einen Brief, den der Zuhörer als Text in die Hand bekommt. Intervallgröße und Anschlagsdichte bilden das Raster dieser "Fonografie".



Doch die Arbeit ist weit mehr als eine verblüffende, vielleicht parodistische Transformation des alten Mimesis-Gebotes. In den rasenden Kaskaden des technoid verfremdeten Klaviers fängt es wie in einer akustischen Luftspiegelung plötzlich und flüchtig zu "sprechen" an. Das Klavier wird zum absurden Aufnahmegerät, das eine unhörbare Sprechstimme als Geisterstimme in ungreifbaren Zwischenräumen einfängt. Oder das Reale und Körperliche ins Geisterhafte entfremdet? Oder märchenhaft verwandelt?

Im nah verwandten "voices and piano" werden die menschlichen Stimmen dagegen per CD zugespielt. Der Flügel wird hier nicht von einem Computer, sondern von einem leibhaftigen Pianisten gespielt. Wie oft bei Ablinger führen Variationen der Ausgangsfrage zu überraschend großen Änderungen der ästhetischen Qualität. Die Unvollkommenheit des menschlichen Spiels erzeugt momentane Kongruenzen und Verschmelzungen von Instrumentalklang und Stimme. Dann wieder trennen und reiben sie sich, scheinen eine zweistimmige Invention aufführen zu wollen; kurz darauf glaubt der Hörer plötzlich, die Rezitationsstimme durch den Klang zu hören, im nächsten Augenblick wirkt sie wie eine Untermalung, dann wie eine Parodie.




Static's Music - Noise Inquiries: fundamentals about Peter Ablinger's work, by Christian Scheib




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impressum \ this page was created by Aljoscha Hofmann \  last edited 18.08.2009 CET