Peter Ablinger
ALTAR
(2002-03)
"Was auf der Ebene der Einheit
zusammengefaltet eins ist,
wird auf der sinnlichen Ebene der Vielfalt
notwendig auseinandergefaltet."
(Cusanus)
english program note at the bottom of the page
1. 3 Hörsäulen im öffentlichen Raum
2. Komplementäre Studie
3. 3 Minuten für Orchester (2002-03)
1. 3 Hörsäulen, mit je 2 Mikrofonen und 1 Kopfhörer, an 3 verschiedenen Orten;
2. elektronische Studie mit obligatem Violoncello, D: 15';
3. 2Fl(auch AltFl),2EH,2Klar,2Fg(auch KFg);4Hrn,2Trp,2Pos,2Tb;Klav;10Vl1,10Vl2,8Va,8Vc,6Kb;Zuspiel-CD, D: 5'
1: 3 listening columns, with 2 mics and 1 pair of headphones each, in 3 different public locations;
2: complementary study, electronics and vc, 15';
3: "Three Minutes for Orchstra", 2fl,2eh,2cl,2bassoon,4hrn,2trp,2trb,pno,10vlI,10vlII,8va,8vc,6db,CD, 5'
Altar / 3 Hörsäulen im öffentlichen Raum
3 listening columns in public space
Realisation der Hörsäulen: Winfried Ritsch
An drei Orten im Stadtraum hat Peter Ablinger Hörsäulen errichten lassen, etwa zwei Meter hohe zylindrische Objekte, die jeweils mit einem Mikrofon-Paar und einem Kopfhörer ausgestattet sind. Über das geschlossene Kopfhörersystem ist zu hören, was gerade von den Mikrofonen aufgezeichnet wird. Es findet keine klangliche Veränderung oder zeitliche Verzögerung der jeweils aktuellen Klanglandschaft des Ortes statt, sieht man von der Eigengesetzlichkeit der Apparate ab.
Die Künstlichkeit der durch technische Vermittlung gegebenen Abhörsituation wird nicht geleugnet, aber auch nicht betont. Zwar wird der Hörer für die ihn ohnehin umgebene Klanglandschaft sensibilisiert, durch den technischen Apparat jedoch zugleich von ihr getrennt. In der dialektischen Anspielung auf komplexe Echtzeit-Systeme und aufwendige Klangübertragungen in Werken der jüngeren Musik und Klangkunst ist eine Fokussierung auf Hören und Hörer auszumachen.
Die "Drei Hörsäulen im Stadtbereich" bilden den ersten von drei Teilen des Stückes "Altar". Die anderen beiden Teile, "Komplementäre Studie" für Cello und Elektronik und "Drei Minuten für Orchester" nehmen auf diesen Bezug.
Programmhefttext von Volker Straebel/
Donaueschinger Musiktage 2003
Altar / Skizze zu "Komplementäre Studie"
drawing for "complementary study"
Programmierung: Thomas Musil, mit Dank ans IEM Graz
Die "Komplementäre Studie" für Cello und Elektronik verwendet Klangmaterial, das zuvor an den "Drei Hörsäulen im Stadtraum" aufgezeichnet wurde. Aus dem mittleren von drei in einer Reihe vor dem Publikum aufgestellten Lautsprechern klingt der Originalklang, aus den beiden Lautsprechern links und rechts sein Komplementär. Komplementär- und Original-Klang zusammen ergeben die dynamischen Maxima des in schmalen Frequenzbändern analysierten Originalklanges. Während die akustische Summe gleich bleibt, ändert sich über die Zeit das räumliche Verhältnis der beiden Klangebenen, so dass der Originalklang in der Mitte bald breiter, bald schmaler erscheint.
Durch dieses Klangfeld bewegt sich das Solo-Instrument dreimal in einer langsam aufsteigenden Tonfolge, deren Dynamik sich jeweils an den akustischen Maxima der überschrittenen Frequenzen orientiert. Das Cello agiert so als "auskomponierter Hörer" (Ablinger), der mit seiner Aufmerksamkeit systematisch das gesamte Frequenzspektrum abtastet.
Die "Komplementäre Studie" ist der zweite von drei Teilen des Stückes "Altar". Es nimmt, ebenso wie die "Drei Minuten für Orchester", auf die "Drei Hörsäulen im Stadtbereich" Bezug.
Programmhefttext von Volker Straebel/
Donaueschinger Musiktage 2003
Altar / Drei Minuten für Orchester
3 Minutes for Orchestra
> listen, SWR Symphonieorchester, Conductor: Silvain Cambreling)
> CD
Programmierung: Thomas Musil, mit Dank ans IEM Graz
Auch die "Drei Minuten für Orchester" verwenden Klangmaterial, das zuvor an den "Drei Hörsäulen im Stadtraum" aufgezeichnet wurde. Das Stück gliedert sich in drei Teile, die jeweils spiegelsymmetrisch um die 40 Sekunden dauernde Zuspielung einer Hörsäulen-Aufnahme angeordnet sind: Klaviereinsatz, Orchestereinsatz, Tonzuspielung, Ende des Orchesterspiels, Ende des Klavierspiels.
Das Orchester spielt die akustische Analyse der eingespielten Klanglandschaft in einer Auflösung von 2½ Sekunden (was einer Samplingrate von 0,4 Hz entspricht). Das Klavier bewegt sich in jedem Teil, ähnlich dem Cello in der "Komplimentären Studie" aus "Altar", langsam aufsteigend durch seinen Frequenzbereich. Orchester wie Klavier verwenden einzig die sieben Töne c, d, ¼ Ton unter e, f, g, ¼ Ton unter a, b, in die die Oktave in allen Lagen gleichmäßig geteilt wurde. Das Orchester "begleitet" die Stadtgeräusche der Zuspiel-CD, nicht umgekehrt.
"Drei Minuten für Orchester" ist der dritte von drei Teilen des Stückes "Altar". Es nimmt, ebenso wie die "Komplimentäre Studie", auf die "Drei Hörsäulen im Stadtbereich" Bezug.
"Altar" besteht aus drei Stücken unterschiedlicher Genres, die ihrerseits jeweils in drei Teile oder Formabschnitt gegliedert sind. Neben dem gemeinsamen Materialbezug unterstreicht diese formale Entsprechung den Zusammenhang der Einzelwerke, deren "Ganzes" sich erst in der ästhetischen Rekonstruktion des Rezipienten ergibt.
Programmhefttext von Volker Straebel/
Donaueschinger Musiktage 2003
"Ein Ganzes bedarf des Geistes, der es betrachtet: es ist nur eines im Geist. Und ebenso erscheint der Fehler des Ganzen nur im Geist. Das 'Ganze' und der 'Fehler des Ganzen' sind beide von subjetiven Elementen ausgehend, doch der 'Fehler des Ganzen' ist untergründig real. Da das Ganze eine willkürliche Konstruktion ist, läuft die Wahrnehmung des Fehlers darauf hinaus, die willkürliche Konstruktion zu sehen; der 'Fehler des Ganzen' ist nur untergründig real, weil er mittels einer Unvollkommenheit des Willkürlichen wahrgenommen wird; die Unvollkommenheit befindet sich wie die Konstruktion, im Irrealen: sie verweist auf das Reale.
Es gibt mithin:
bewegliche, veränderliche Fragmente: die subjektive Realität;
ein vollendetes Ganzes: der Schein, die Subjektivität;
einen Fehler des Ganzen: die Veränderung, die auf der
Ebene des Scheins stattfindet, jedoch eine bewegliche, fragmentierte, ungreifbare Realität enthält."
(Georges Batailles, aus: Der Punkt der Ekstase)
Zeichnung: Peter Ablinger, Fotos: Maria Tržan
vergleiche auch andere Arbeiten in denen etwa konzertante und installationsartige Teile aufeinander bezogen werden:
> HOTEL DEUTSCHES HAUS
> MEHR WIRKLICHKEIT 3, Hören in 4 Sätzen
> CALIFORNIA SCORE
> OPERA/WERKE
Program Note, DePaul Orchestra Concert, April 28, 2017
Austrian composer Peter Ablinger writes:
Once - I believe it was 1986, high summer - I came on something remarkable while on a walk through the fields east of Vienna near the Hungarian border and close to the birthplace of Haydn. The corn stood high and it was just before harvest. The hot summer east wind swept through the fields and suddenly I heard das Rauschen [noise/the sound]. Although it was often explained to me, I can still never say how wheat and rye are different. But I heard the difference. I believe it was the first time I really heard outside an aesthetic circumstance (say, a concert). Something had happened. Before and after were categorically separated, had nothing more to do with each other. At least it appeared to me then that way In hindsight I recognize/ remember other comparable experiences that had to do with a jerking open of perception, but the walk through the corn fields was perhaps the most momentous.
His Drei Minuten für Orchester (Three Minutes for Orchestra) is part of a larger work, Altar, about which the composer writes:
ALTAR (2002-03)
is one piece in three different situations.
The first situation involves so-called "listening columns" in public space where one could take headphones and listen to what (right now) can be heard in the actual situation. The second situation [entitled "Complementary Study"] is an 18 minute long, quite hermetic, noise block including an almost inaudible live cello. The third part is "Three Minutes for Orchestra". It consists of 3 layers: first, ambient street sounds recorded at the exact places where the listening columns were located, secondly, the orchestra part with its parallel analysis of the frequencies of these street sounds, and an additional piano part which is just an ascending scale.
All 3 pieces are presenting the same 3 situations in different medias. Therefore, the piece is also about different possibilties of (artistic) representation.
Also:
The "Three Minutes for Orchestra" uses sound that was previously recorded at the places of the "listening columns" in the city center. The piece is divided into three parts, each of which is symmetrically arranged around the 40-second playback of a "listening column" recording: the piano begins, the orchestra begins, the sound recording plays, end of the orchestra part, end of the piano part.[...] The orchestra plays an acoustic analysis of the recorded sound landscape at a resolution of 2.5 seconds (which corresponds to a sampling rate of 0.4 Hz). The piano moves slowly in every part, similar to the cello in the "Complementary Study" of Altar, through its frequency range. The orchestra, like the piano, uses only the seven notes c, d, quarter tone below e, f, g, quarter tone below a, b. The orchestra "accompanies" the city sounds of the CD, not vice versa.
for score and performing materials contact the publisher:
ZEITVERTRIEB WIEN BERLIN
Bryan Eubanks, Gotzkowskystr. 15, D-10555 Berlin,
T: +49 / 176 / 47 39 29 97, zeitvertrieb@proton.me
compare:
> HOTEL DEUTSCHES HAUS
> OPERA/WORKS
> MEHR WIRKLICHKEIT 3, Hören in 4 Sätzen
> CALIFORNIA SCORE
> SERIE GRAUER TAFELN