Musik und Wirklichkeit
from: 6 Konzepte 1983
Phonorealism
the reproduction of "phonographs" by instruments, since 1979
Grobkörnigen Fotografie / Umweltgeräusche, 2 Notizen 1979
Einmal, Once, 1986
Sitzen und Hören
Chair Projects since 1995
Quadraturen III ("Wirklichkeit")
"Reality", studies for computer-controlled player piano, since 1996
Mehr Wirklichkeit 2, More Reality 2, texts 1988-99
Die Musik ist die Beobachterin der Wirklichkeit, die Beobachterin der Beobachtung. Zur Abbildnerin kann sie (zumal die Instrumentalmusik) aufgrund der Struktur der Instrumentalklänge im Verhältnis zu zB. Umweltklängen – kaum werden. Obwohl ich mich gerade jetzt mit diesem Punkt beschäftige. Dass Beobachtung bis zur (affirmativen) Abbildung geht. Gerade im Versuch Wirklichkeit mit traditionellen musikalischen Mitteln abzubilden zeigt sich umso schärfer die Differenz. Es zeigt sich der Beobachter selbst: (:Selbstportrait!). Musik definiert sich gegenüber Wirklichkeit als Raster (chromatisch-tonhöhenmäßig und rhythmisch-zeitlich). Als sehr grober Raster sogar der der Wirklichkeit/ihrer Komplexität weit hinterherhinkt. Dieses Hinken ist gleichzeitig die Wahrheit des Beobachtens als auch ästhetisch. Das Hinken ist das Fassbare! Es ist das was wir sind/können. Es ist die Wahrheit der Beobachtung.
(Notizbücher 1998/99)
Music is the observer of reality, the observer of observation. Due to the structure of instrumental sounds in relation to, for example, environmental sounds, it can hardly become a depictor (especially instrumental music). Although I am dealing with this point right now: That observation goes as far as (affirmative) representation. It is precisely in the attempt to depict reality with traditional musical means that the difference becomes all the more apparent. The observer shows himself: (:self-portrait!). Music defines itself in relation to reality as a grid (chromatic-pitched and rhythmic-temporal). As a very coarse grid that limps far behind reality/its complexity. This limping is both the truth of observation but also aesthetic. The limp is the tangible! It is what we are/can be. It is the truth of observation. (Notebooks 1998/99)
Die Musik beobachtet die Wirklichkeit. „Musik“ definiert sich gegenüber „Wirklichkeit“ als Raster (horizontal-rhythmisch und vertikal-tonhöhenmäßig). Als sehr grober Raster sogar, der der Komplexität der Wirklichkeit weit hinterherhinkt. Aber dieses Hinken ist gleichzeitig die Wahrheit des Beobachtens, als auch selbst ästhetisch. Das Hinken ist das Fassbare! Es ist unsere Möglichkeit.
(aus einer Programmnote zu Quadraturen IV 1995-98)
Music observes reality. Compared to "reality", "music" defines itself as a grid (horizontal-rhythmic and vertical-pitched). A very coarse grid, in fact, which limps far behind the complexity of reality. But this limping is both the truth of observation and itself aesthetic. The limp is the tangible! It is our possibility. (from a program note to Quadratures IV 1995-98)
Dabei ist auch Wirklichkeit kein Selbstzweck. Zwar möchte ich mit einigen Arbeiten so nahe ran wie nur möglich – aber letzten Endes nur, um zu sehen, dass die Wirklichkeit nicht die Wirklichkeit ist. Ich benütze die Wirklichkeit um sie zu widerlegen! Ich befrage die Wirklichkeit um ihre Lügen festzuhalten!
(7/99)
Reality is not an end in itself. I do want to get as close as possible with some of my works - but ultimately only to see that reality is not reality. I use reality to refute it! I question reality in order to record its lies! (7/99)
Mehr Wirklichkeit 3 / Hören in 4 Sätzen, 2002
Die Musik analysiert die Wirklichkeit.
(aus einer Programmnote zu Voices and Piano, seit 1998)
Um Wirklichkeit ins Spiel zu bringen, bedient sich Musik traditionell der Sprache (gesungene Sprache, sprachähnlicher formaler Aufbau der Musik selbst, Titelgebung, Programmhefttexte, etc.). Viel seltener ist schon der Versuch, Wirklichkeit unmittelbar klanglich zu erfassen: Die diversen Waldszenen und Vogelmotive der älteren Musikgeschichte werden da kaum die Ehrenrettung antreten können...
(aus: "Metaphern (Wenn die Klänge die Klänge wären...)", in: Sabine Sanio, Christian Scheib (Hrsg.): "Übertragung - Transfer - Metapher", Kerber-Verlag, 2004; enth. in: ANNÄHERUNG, MusikTexte 2016
To bring reality into play, music traditionally makes use of language (sung language, language-like formal structure of the music itself, titles, program notes, etc.). Much rarer is the attempt to capture reality directly in sound: The various forest scenes and bird motifs of older music history will hardly be able to do the honors here... (from: "Metaphern (Wenn die Klänge die Klänge wären...)", first published in: Sabine Sanio, Christian Scheib (eds.): "Übertragung - Transfer - Metapher", Kerber-Verlag, 2004; english translation, "Metaphors", included in: NOW, MusikTexte 2016
From Noise to Noise (Mehr Wirklichkeit 4)
Vortrag / Lecture, UdK Berlin 2004, lecture-series Ingeborg Pfingsten
Die Wirklichkeit ist ein Skandal.
Derselbe Skandal wie der Tod.
Beide sind unserem Denken, unserer Orientierung gleich
unzugänglich. Und genauso wie wir den Tod in ein
gesellschaftliches, kulturelles, geschichtliches Konstrukt
verwandeln, in dem wir Religionen, Philosophien und Rituale
entwerfen, die ihn einzubetten versuchen in unsere Denkweisen
und Umgangsformen, genau so versuchen wir uns die Wirklichkeit
zurechtzukonstruieren, indem wir Künste und Wissenschaften,
Alltagsweisheiten und Poesien entwerfen, die uns vorspiegeln,
dass wir fähig seien, über sie einen Diskurs zu führen, sie
mit unseren Worten und Vorstellungen zu erfassen, zu
erforschen, zu verstehen. Dabei ist dieses Erfassen, Forschen
und Verstehen tatsächlich eine "Vorstellung", eine Show, eine
Vorführung, ein Davorgestelltes, ein vor-die-Wirklichkeit-
Gestelltes, etwas das genau den Zweck hat, uns daran zu
hindern zu sehen was wirklich dahinter ist.
Denn tatsächlich ist das, was schon direkt neben uns beginnt
so entfernt und unzugänglich wie das Universum: In Momenten in
denen wir das Ritual "Poesie" aufführen, verdrehen wir unseren
Nacken um nach ihm zu starren und einige unserer kleinlichen
Wünsche und Sehnsüchte auf es draufzuprojizieren, wiederum, um
nicht in die Verlegenheit zu kommen, in welcher die Kälte und
unendliche Redundanz uns aufspüren könnte (denn wir können sie
nicht aufspüren), die sich vom Sternenhimmel bis zu unserer
allernächsten Umgebung, dem einfachen Blick aus dem Fenster,
erstreckt.
(Notizbücher 2003)
Reality is a scandal.
The same scandal as death.
Both are equally inaccessible to our thinking, our orientation. And just as we transform death into a social, cultural, historical construct by creating religions, philosophies and rituals that try to embed it in our ways of thinking and dealing with it, we also try to construct reality by creating arts and sciences, everyday wisdom and poetry that pretend to us that we are capable of having a discourse about it, of grasping, exploring and understanding it with our words and ideas. Yet this grasping, researching and understanding is actually a "performance", a show, a demonstration, something that is put in front of reality, something that has precisely the purpose of preventing us from seeing what is really behind it.
Because in fact, what begins right next to us is as distant and inaccessible as the universe: At moments when we perform the ritual of "poetry", we twist our necks to stare after it and project some of our petty wishes and desires onto it, again to avoid the embarrassment in which the coldness and infinite redundancy might (for we cannot) track us down, stretching from the starry sky to our very closest surroundings, the simple view out of the window. (Notebooks 2003)
Natur und Wirklichkeit
Die Natur hat mich zur Wirklichkeit geführt. So wie das Abstrakte zum Konkreten.
Die Natur hat mir den Horizont geöffnet, von einem Blick auf die Kunst zu einem Blick auf das, was nicht Kunst ist, und damit zu einem Blick von Außen auf die Musik, den Kunstbetrieb etc.
Die (unerfüllbare?) Sehnsucht nach dem Klaren und Reinen und Unmittelbaren wurde von der Natur angestachelt, und fand ihre Schutzheiligen in den abstrakten und monochromen Malern. Aber das (gefundene?) Reine, Klare, Leere war im gleichen Moment (des Findens) der Ort an dem die Gegenwart hereinbrach: das Vermischte, das Unklare, das Wirre und Alltägliche. Und letztlich war das Alltägliche - in seiner Unbemerktheit, in seiner Unwichtigkeit - die einzig mögliche Steigerung des Leeren und "Absoluten". Noch mehr "Nichts" als die maximale Abstraktion war nur mehr das Leben, das Banale, der Alltag!
(aus: "Schwarz und Weiss", in: figurationen, Heft 2/2008
Nature and reality
Nature has led me to reality. Just as the abstract led me to the concrete.
Nature opened my horizon, from a view of art to a view of what is not art, and thus to a view of music, the art world, etc. from the outside.
The (unfulfillable?) longing for the clear and pure and immediate was spurred on by nature, and found its patron saints in the abstract and monochrome painters. But the (found?) pure, clear, empty was at the same moment (of finding) the place where the present broke in: the mixed, the unclear, the confused and the everyday. And ultimately, the everyday - in its unnoticedness, in its insignificance - was the only possible intensification of the empty and "absolute". Even more "nothing" than maximum abstraction was only life, the banal, the everyday! (from: "Schwarz und Weiss", in: figurationen, issue 2/2008
Drees, Stefan: "Sprachbezug als Werkzeug zur Wirklichkeitsbefragung. Zu einer kompositorischen Fragestellung im Schaffen Peter Ablingers",
in: Musik - Kultur - Wissenschaft, hrsg. von Hartmut Möller und Martin Schröder, Rostocker Beiträge zur Musikwissenschaft und Musikpädagogik, Essen 2011
Music and Reality, Music as a tool for the observation of the non-musical,
Lecture, University of Huddersfield 2013
Reinhard Kager: "Komponierte Wirklichkeit. Zur strukturellen Einbettung der Film- und Videoästhetik in Werken von Peter Ablinger und Bernhard Lang",
in: Neue Zeitschrift für Musik, 6/2014