Phonorealism
The Reproduction of "Phonographs" by Instruments
(1) The first step is always an acoustic photograph ("phonograph"). This can be a recording of anything: speech, street noise, music.
(2) Time and frequency of the chosen "phonograph" are dissolved into a grid of small "squares" whose format may, for example, be 1 second (time) to 1 second (interval).
(3) The resulting grid is the score, which is then to be reproduced in different media: on traditional instruments, computer controlled piano, or in white noise.
The reproduction of "phonographs" by instruments can be compared to photo-realist painting, or - what describes the technical aspect of the "Quadraturen" more precisely -with techniques in the graphic arts that use grids to transform photos into prints.
When using humanly played instruments the grid has to be enlarged (slowed down) to remain playable - thus the result of the transformation is not so much a reproduction of the original but an approach to or a situation of comparison between instrumental sounds and the original sound source.
Using a smaller grain, e.g. 16 units per second (about the limit of the player piano), the original source approaches the border of recognition within the reproduction. With practice listening the player piano can even perform structures possible for a listener to transpose into/understand as spoken sentences.
Actually however, my main concern is not the literal reproduction itself but precisely this border-zone between abstract musical structure and the sudden shift into recognition - the relationship between musical qualities and "phonorealism": the observation of "reality" via "music".
(from: Peter Ablinger "Quadraturen", transl. Bill Dietz)
> engl. documentation of the QUADRATUREN- series
"Dieser Umgang mit der (hörbaren) Wirklichkeit stammt aus einer Überlegung aus meiner Studentenzeit. Etwa 1979, als ich in Graz Jazzklavier studiert habe, stellte ich mir die Frage, was das Konzept des Photorealismus in der Bildenden Kunst für die Musik bedeuten könnte. Dort wird eine Fotografie mit Pinse1 und Ölfarben auf eine Leinwand übertragen. Das müsste - analog dazu - in der Musik heißen: Wie kann ich eine Phonografie mit den traditionel1en Instrumenten wiedergeben, wie kann ich eine Art "Phonorealismus" erzeugen?. Damals war mein Gedanke, mit meiner damaligen Improvisationsgruppe und solchen Phonografien (- in diesem Fall Umweltaufnahmen aus Graz) ein spezifisches Geflecht zu erzeugen..."
(aus einem Interview mit Johannes Frankfurter, erschienen im Falter 7.10.2005)
(Trond Olav Reinholdtsen) Warum (und wie) verwendest du "Wirklichkeit" als Material in deinem Werk? Geht es dabei um das Paradox, dokumentarische Aufnahmen (wie Stadtgeräusche von Berlin oder Aufnahmen von historischen Personen) hineinzutragen in die Musik? Oder geht es um eine Art musikalscher Realismus?
(Peter Ablinger) Die Antwort darauf hat teilweise tatsächlich mit Realismus zu tun. Und zwar hab ich mich vor vielen Jahren einmal gefragt (da war ich noch Jazzpianist), was das Konzept des photografischen Realismus für die Musik bedeuten könnte. Damals habe ich begonnen, zu Umweltaufnahmen dazu zu improvisieren in einer Weise, daß Instrument und Umweltaufnahme miteinander verschmelzen, amalgamieren sollten. Viele Jahre später bin ich (in der Entwicklung der Werkreihe der "Quadraturen") der Verfahrensweise des Photorealismus noch einen Schritt näher gekommen, eine Photografie mit den traditionellen Mitteln Pinsel und Leinwand widerzugeben - für die Musik heißt das wohl: eine Schallaufzeichnung ("Phonographie") mit den klassischen Orchesterinstrumenten widerzugeben. Tatsächlich wäre ein echter "Phonorealismus" nur möglich, wenn die Instrumente keine Obertöne hätten und ihre Spielgeschwindigkeit die Grenze zum Kontinuierlichen, nämlich 16 Anschläge pro Sekunde, überschreiten und auch Abfolgen mit wechselnden Parametern in diesem Tempo widergeben könnten. Letztere Bedingung ist nur mit dem computergesteuerten Klavier, erstere mit natürlichen Instrumenten gar nicht erreichbar. Was aber erreichbar ist, ist eine Annäherung, die eine Vergleichssituation entstehen läßt: Verglichen wird dabei Musik und Wirklichkeit. Die Musik fungiert dabei wie eine Beobachterin: Die Musik beobachtet die Wirklichkeit. Und es sind genau wieder die Grenzen dieser Annäherung, die uns etwas über das Beobachtungsinstrument erkennen lassen. Die Musik, das kulturell Geschaffene, wird also zur Metapher für Wahrnehmung. Einer Wahrnehmung, die dem Wahrgenommenen in keiner Weise gerecht werden kann, uns in diesem Scheitern dafür umso mehr über die Grenzen unserer Wahrnehmung und über den Vorgang des Wirklichkeit-Erzeugens beim Wahrnehmen berichten kann.
(aus: einem E-Mail-Interview mit Fragen des Komponisten Trond Olav Reinholdtsen, erschienen auf norwegisch in der Musikzeitschrift "Parergon" anläßlich des Festivals "Happy Days", Oslo, April 2005)
Der Donaufürst (music and language 1979)
Ensemble and Fieldrecording 1979/1983
"'Quadraturen IV' ist etwas, was von der Fragestellung her sehr weit zurückreicht; bis in die Zeit, wo ich noch Free Jazz-Klavier gespielt habe. Die letzte Phase mit dem Ensemble, mit dem ich damals gearbeitet habe, war ein Projekt, das ich dann noch abgebrochen habe, wo es darum ging, dass verschiedene Umweltgeräusche und Free Jazz-artige Improvisationen miteinander verschmelzen. Und dieser Gedanke wiederum, ich weiß jetzt gar nicht mehr genau, wie stark das damals war, aber zumindest im weiteren Verlauf hat das für mich sehr viel mit der Bildenden Kunst wiederum zutun, nämlich mit der fotorealistischen Malerei; dass ich mich gefragt habe, was könnte Fotorealismus in Bezug auf Musik bedeuten, weil es heißt ja, dass man mit traditionellen Mitteln - Pinsel, Leinwand - etwas herstellt, was sonst nur das Abbild Foto kann, das heißt, wenn ich das auf Musik übertrage, wie kann ich mit Instrumenten etwas machen, was normalerweise nur eine Tonaufnahme kann, zum Beispiel Autolärm aufnehmen oder Sprache. Nun, eine wirkliche Lösung dafür wird es aufgrund der Natur unserer Konzertinstrumente nicht geben. Mit den traditionellen Instrumenten kann ich eben nicht die Abbildung erreichen, aber ich kann etwas anderes, ich kann eine Relation herstellen zwischen Umweltlärm oder Sprache und Musik - die Dinge beleuchten sich gegenseitig neu: Ich höre den Verkehrslärm anders und ich höre die Musik anders."
(aus einem Gespräch mit Egbert Hilller, gesendet am 5.7.2003 im Deutschlandfunk)
"Grobkörnige Fotographie", Notiz 1979: "Parallele von einer grobkörnigen Fotographie, die sich erst mit zunehmender Entfernung zum Bild vereint und von einem z.B. Tremolo das man beschleunigt bis es als Oktav oder Akkord etc. wirkt."
PHOTOREALISMUS UND QUADRATUREN
Ich muß es leider eingestehen: Am Anfang war der Neid. Der Neid auf die Maler. Bestimmte Methoden der Malerei schienen mir für die musikalische Komposition grundsätzlich unzugänglich zu sein. Besonders Methoden der Wirklichkeitsaneignung und der Mimesis. Die uneinnehmbare Hürde ist und bleibt dabei die photorealistische Malerei, die Wiedergabe einer photografischen Vorlage mit den traditionellen Mitteln Pinsel, Farbe, Leinwand. Der Photografie entspricht im Bereich des Klanges zwar die Schallaufzeichnung, eine schallrealistische Wiedergabe mittels der traditionellen Orchesterinstrumente ist aufgrund der inneren Struktur der Instrumentalklänge jedoch unerreichbar. Die Instrumente können nur sich selbst wiedergeben.
Die andere Frage betrifft den Vergleich zwischen Photo und Schallaufzeichnung selbst. Im visuellen Bereich sind wir daran gewöhnt, auch die allergewöhnlichsten Dinge als ästhetisch wahrzunehmen. In jedem Wohn- oder Wartezimmer können Aufnahmen aus dem städtischen Alltag an der Wand hängen. Einen vergleichbaren Umgang mit akustischen Dingen gibt es nicht. Niemand legt sich zu Hause eine CD mit Autolärm auf. Ich denke das liegt zumindest zum Teil daran, daß wir im Bereich des Klingenden noch immer an einem prinzipiellen und tief verwurzelten Unterschied von Musik und klingender Umwelt festhalten und letztere immer noch eher wie Tiere wahrnehmen: ausschließlich in Bezug auf ihre Funktion. Kein Wunder also, daß wir sie nicht "schön" finden.
An diesem Punkt setzen die "Quadraturen" an.
(1) Der erste Schritt ist immer eine akustische Photografie ("Phonografie"). Das kann eine Aufnahme von irgendetwas sein: Sprache, Straßengeräusche, Musik.
(2) Zeit und Frequenz der gewählten "Phonografie" werden in einen Raster kleiner Rauschquadrate aufgelöst, deren Format zB. 1 Sekunde (Zeit) mal 1 Sekunde (Intervall) sein kann.
(3) Der resultierende Raster ist die Partitur, welche dann in verschiedenen Medien reproduziert wird: auf traditionellen Instrumenten, auf dem computer-gesteuerten Klavier oder durch weißes Rauschen.
Die Reproduktion der "Phonografien" durch Instrumente kann mit photorealistischer Malerei verglichen werden, oder, was den technischen Aspekt der "Quadraturen" noch besser beschreibt, mit Techniken die aus der Gebrauchsgrafik kommen, und Photos mittel Rasterung in Drucke transformieren.
Wenn man mit von Menschen gespielten Instrumenten arbeitet, muß der Raster vergrößert (verlangsamt) werden, um spielbar zu bleiben - auf diese Weise ist das Ergebnis nicht so sehr eine Reproduktion als eine Annäherung an das Original, oder eine Situation des Vergleichs zwischen Instrumentalklang und ursprünglicher Klangaufzeichnung. Wenn man mit einem kleinkörnigeren Raster arbeitet, zB. 16 pro Sekunde (etwa das Limit des Selbstspielklaviers), erreicht die Klangquelle in der Reproduktion die Grenze der Erkennbarkeit. Mit einiger Übung im Hören kann das Selbstspielklavier sogar Strukturen wiedergeben, die der Hörer als gesprochene Sätze versteht/übersetzt.
Tatsächlich aber gehört mein Hauptinteresse gewiß nicht der wörtlichen Übersetzung selbst, sondern eben diesem Grenzbereich zwischen abstrakter musikalischer Struktur und dem plötzlichen Wechsel zum Erkennen hin - die Beziehung zwischen purer musikalischer Qualität und "Phonorealismus": der Beobachtung der Wirklichkeit durch Musik.
(aus: "Metaphern", in: Sabine Sanio, Christian Scheib, Hrsg.: "Übertragung - Transfer - Metapher", Kerber-Verlag, 2004)
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oder Word 97 (134 KB): "Peter Ablinger - METAPHERN", 1983-2004
Sabine Sanio: Musikalische Rasterung
In seiner jüngsten Werkreihe, den Quadraturen, geht Ablinger einen weiteren Schritt im Umgang mit dem Rauschen, er integriert es in den zeitlichen Prozeß, indem er nun für jeden einzelnen Moment des musikalischen Geschehens - und die Dauer dieses Moments kann vorher festgelegt und also auch variiert werden - Rauschwerte erstellt. Es wird also nicht mehr das gesamte Klangmaterial zu einem Rauschen verdichtet, sondern der "Rauschwert" eines bestimmten Zeitausschnitts ermittelt. Dieser Rauschwert ist nichts anderes als die Möglichkeit, einen komplexen, mehrstimmigen Instrumentalklang elektronisch darzustellen. Um die Eigenart der Instrumentalmusik gegenüber den akustischen Speichertechniken zu demonstrieren, orientiert sich Ablinger erneut an Konzepten der bildenden Künste und ihrer Auseinandersetzung mit technischen Neuerungen. So sind die Quadraturen inspiriert vom Fotorealismus, der Fotografien und fotografische Verfahren imitiert - erst aus der Nähe, durch Pinselstrich und die verwendeten Materialien erkennt man die ungewöhnliche Variation klassischer Ölgemälde. Ein weiteres Vorbild für Ablingers Quadraturen ist die Imitation des Rasterdrucks bei Zeitungsfotos durch Pop-Art-Künstler wie Roy Liechtenstein oder Sigmar Polke.
Für gerasterte Abbilder akustischer Vorgänge ist eine Rasterung in der Zeit erforderlich, für die man im Grazer Studio ein eigenes Computerprogramm erstellte. So wie beim fotografischen Raster alle Details innerhalb eines Rasterquadrats einen mittleren Grauwert erhalten, wird bei akustischen Vorgängen ein mittlerer Rauschanteil für ein Quadrat aus Frequenz mal Zeit - also z.B. eine Sekunde Frequenz mal eine Sekunde Zeit - ermittelt. In Graz verwendet man dafür einen Halbtonfilter, der grundsätzlich jede Intervallbreite zuläßt und jeden einzelnen Rasterstreifen sofort, also in Echtzeit, hörbar macht. Ablinger hat diese Rastertechnik anschließend auch auf das klassische Instrumentarium übertragen: Dafür werden die Rasterwerte der Vorlage in Notenwerte transkribiert, die dann die Grundlage für die Partitur liefern.
Nach der elektronischen Rasterung bedeutet die Rückübertragung auf traditionelle Instrumente eine weitere Verfremdung - mit elektronischen Mitteln verwandelt sich die Komposition erneut in Instrumentalmusik, die sich erheblich von der elektronischen Musik unterscheidet, da der Instrumentalklang nicht aus Sinustönen besteht, sondern ein komplexes Obertonspektrum besitzt. Doch Ablinger verwendet die Instrumente in den Quadraturen so, als lieferten sie ausschließlich die für die Rasterung erforderlichen Sinustöne. So wird nicht einfach der ursprüngliche Instrumentalklang reproduziert, sondern die Übersetzung der elektronischen Rasterung in Instrumentalklang macht noch im Instrumentalklang die Verfremdung hörbar, die die elektronische Rasterung bewirkt.
Für Quadraturen V, die im Jahre 2000 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt wurden, hat Ablinger die alte DDR-Hymne als Vorlage verwendet. Das spektrale Raster ist durchgehend 3/4-tönig, die einzelnen Sätze unterscheiden sich allein in den Rastertempi, doch diese verändern den Charakter der Musik bisweilen erheblich. Als Hörer findet man sich in einem Zwischenbereich, in dem sich der Klang und die Erinnerung an eine vertraute Melodie auf ungewöhnliche Weise verbinden. Manchmal sind Übereinstimmungen mit der Hymne kaum zu überhören, dann wieder verschwimmen alle Ähnlichkeiten ins Ungewisse, so als wäre man einem völlig abstrakten Klanggeschehen ausgesetzt.
(aus: Sabine Sanio: Eine Ästhetik des Speicherns)
Das Besondere von Ablingers Quadraturen liegt nicht in der Thematisierung der grundsätzlichen Möglichkeit der Abbildung. Ablinger befaßt sich vielmehr mit der Frage nach dem Verhältnis von technischer Reproduktion und Kunst - Ausgangspunkt ist der Fotorealismus, eine Kunstströmung des 20. Jahrhunderts, die den Realitäts- und Abbildungscharakter der Fotografie mit den Mitteln der Malerei imitiert, um die grundsätzliche Frage nach dem Realitätsgehalt jeder Art von Abbildung zu stellen. Die Übertragung dieser Frage auf die Musik wirkt selbst wiederum genauso wie das Vorgehen der Fotorealisten und provoziert damit die Frage, ob die Musik ähnlich perfekte Abbilder von der Realität zu liefern vermag wie die visuellen Medien. Hört man Ablingers Komposition, dann drängt sich die entschiedene Negation der Frage auf - die Rasterung ins Musikalische ist bei weitem nicht so anschaulich wie im Visuellen, ohne Vorwissen läßt sich das Ausgangsmaterial dieser Kompositionen kaum erkennen, selbst wenn es sich um so bekannte Vorlagen wie die DDR-Nationalhymne handelt. Doch ganz offensichtlich ist diese Frage gar nicht das Entscheidende, viel wichtiger ist, daß wir ganz allmählich beginnen, die Raster zu hören wenn vielleicht auch nicht bei den technisch erzeugten Abbildern, so doch bei den musikalischen könnten wir irgendwann einmal die Fähigkeit entwickeln, die vom Medium erzeugten Muster wahrzunehmen.
(aus: Sabine Sanio "Musikalische Bildkonzepte", Positionen, 2004, Heft 59)
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