Wahrnehmungslandschaften - Landschaftsoper Ulrichsberg
freiStil, 2009
Andreas Fellinger im Gespräch mit Peter Ablinger
(A.F.) Der künstlerische Werdegang des Peter Ablinger - in der Reihenfolge: Grafik an der HTL Linz, Free Jazz an der Musikhochschule Graz, Kompositionsstudien bei Gösta Neuwirth und Roman Haubenstock-Ramati - gehorcht scheinbar einer Logik. Ist das für Sie rückblickend auch so, oder stecken mehr Zufälle als Pläne hinter dieser Dramaturgie?
(P.A.) Ganz sicher handelt es sich nicht um Zufall. Aber "Plan" ist auch zuviel gesagt, obwohl ich, seit ich etwa 14/15 war, sehr bestimmt war, in dem was ich wollte und eine Ahnung hatte, wie der Weg dahin ausschauen könnte. Die scheinbare anfängliche Unentschiedenheit zwischen bildender Kunst und Musik ist tatsächlich so etwas wie der Humus für meine gesamte Arbeit. Malerei, Skulptur und auch Architektur hat meine Musik weit mehr geprägt als die Musik selbst. An den meisten Tagen begreife ich mich zwar ganz klar als Komponist, aber manchmal denke ich dann doch, ich sei eigentlich ein Maler, - nur eben einer der primär mit Klängen und dem Hören arbeitet...
Etwas Ähnliches sagt auch Diedrich Diederichsen in seinem Musikzimmer-Sammelband, den ich gerade lese: "Manchmal wissen Bildende Künstler mehr über Musik als Musiker. Der Grund ist ihr in vieler Hinsicht geschulterer Blick auf die konzeptuelle Seite einer Arbeit. Musiker tendieren immer eher dazu, in der Erfüllung technisch-praktischer Aufgaben aufzugehen." Teilen Sie diese Einschätzung?
Tendenziell schon. Ob die Künstler wirklich mehr wissen, weiß ich nicht. Sie hätten in mancher Hinsicht das Potenzial dazu. Instinktiv merken sie zumindest sofort den Stallgeruch der am Mainstream der mitteleuropäischen zeitgenössischen Musik hängt: Diese Neue Musik hat sich nie vom vorgegebenen Rahmen des bürgerlichen Konzertes des 19. Jahrhunderts gelöst. Dazu braucht es auch gar keine besonders entwickelte Nase: Um den Rahmen zu erkennen, muß frau nur die Ohren zuhalten im Neue Musik Konzert: Dann nämlich ist alles mehr oder weniger gleich wie bei Beethoven: der Konzertsaal, die Instrumente, die Sitzordnung, die Hierarchie Komponist - Dirigent - Interpret - Hörer, das Konzert/Applaus-Ritual etc. Abweichungen vom Schema gibt es natürlich immer wieder, aber diese haben bisher kein Potenzial zur Veränderung gezeitigt, sondern bestätigen nur die hergekommene Form wie die Ausnahme die Regel. Und wenn wir uns solche Abweichungen noch näher ansehen, können wir sehen, daß sie oft nicht einmal vom Komponisten selbst ausgehen, sondern mehr vom Veranstalter oder Kurator (Armin Köhler, der Donaueschingen-Chef, ist so ein Fall, der die Komponisten oft geradezu anbettelt sich doch einmal aus den gewohnten Gleisen herauszubewegen). In den USA etwa ist das alles ganz anders. Dort existiert nicht so ein dichtes Netz aus klassisch ausgebildeten Instrumentalisten, aus Neue Musik Ensembles und Orchestern. Ein junger Komponist wird nicht wie hier automatisch gefragt ein Streichquartett zu schreiben. Er wird unter Umständen überhaupt nicht gefragt. Und er muß sich seine Aufführungssituation überhaupt erst einmal selbst erfinden, und ist oft gleichzeitig der einzige zur Verfügung stehende Interpret. Das was hier Standard ist - das Bedienen einer vorgegebenen Situation - ist dem US-amerikanischen Komponisten unzugänglich - auch wenn er davon träumen mag. Die Neue Musik in den USA ist notgedrungen experimenteller als die unsere. (Umgekehrt gibt es dort auch einen Zweig zeitgenössischer Musik der um vieles konservativer ist als hier überhaupt denkbar; Musik die - aus unserer Sicht - eher für Hollywood taugt - aber davon rede ich nicht.) Und der experimentellere und ganz anders orientierte Geist dieser Musik ist auch gespeist davon, daß die Komponisten dort ganz selbstverständlich Austausch haben zu den aktuellen Strömungen der bildenden Kunst. Es gibt nicht diese Abschottung und Segregation unterschiedlicher Kunstsparten wie hierzulande, die einen wichtigen Teil dessen begründet, was man den Konservatismus der Neuen Musik nennen könnte.
1982 übersiedelten Sie nach Berlin, wo Sie das "Ensemble Zwischentöne" gründeten, das aus einem Kurs für experimentelle und improvisierte Musik hervorging und aus aus Laien- wie Profimusikern besteht. Zusammen mit Bernhard und Klaus Lang, Nader Mahayekhi und Siegwald Ganglmair gründeten Sie den Verlag "Zeitvertrieb Wien Berlin". Ist Berlin für Ihre Arbeit gut geeignet? Hat sich das mit der Zeit geändert?
Ich bin unmittelbar nach dem Ende des Musikstudiums von Wien nach Berlin gezogen, wo ich die ersten Jahre wie ein U-Boot lebte, und keinen Anteil an der dortigen Neue-Musik Szene hatte. Daß ich damals sehr zurückgezogen lebte und noch nicht nach außen hin aktiv wurde hatte auch damit zu tun, daß ich mich, trotz Kompositions-Diplom in der Tasche, keineswegs reif fühlte, sondern eher wie ein Geselle - einer der unterwegs ist um zu lernen. 1987 habe ich - nur mir selbst gegenüber - mit einem Stück namens "Ensemble" sozusagen die Gesellenzeit beendet und die Meisterprüfung abgelegt: die nachfolgenden Stücke betrachte ich als reif und gültig. Und in derselben Zeit wurde ich auch nach außen hin tätig, und begann mich aktiv ins Berliner Musikleben einzumischen und habe so manches dazu beizutragen. Außer dem von Ihnen erwähnten "Ensemble Zwischentöne" oder dem "Zeitvertrieb" war ich noch an vielen anderen Gründungen beteiligt. Zb. der "Klangwerkstatt", einem Festival das ich die ersten Jahre (1990-92) geleitet habe, das aber in der von mir damals geschaffenen Struktur auch heute noch existiert. Ich war an weiteren Ensemblegründungen mitbeteiligt und habe bis vor einigen Jahren unzählige Konzertreihen und Projekte initiiert, projektiert, geleitet. In den letzten Jahren habe ich mich aber zunehmend um Nachfolger für meine Projekte bemüht, und seit 2006 ist als letztes nun auch das Ensemble Zwischentöne von mir abgenabelt. Meine jetzige Situation ist also fast wieder den weitgehend isolierten Anfangsjahren in Berlin vergleichbar: Berlin ist - fast paradoxerweise - für mich jetzt wieder zum Ort der Kontemplation und des Komponierens geworden, während rund um mich herum - international gesehen - die reichhaltigsten und spannendsten Aktivitäten im Bereich heutiger Musik und Klangkunst stattfinden.
Sehen Sie in Ihren Arbeiten Parallelen zu solchen von Christoph Herndler, der, ebenfalls ein Schüler von Haubenstock-Ramati, auf verschiedenste Weise an neuen Formen der Notation, der Partitur, der Fixierung von Musik denkt und arbeitet?
Christoph Herndler mag ich sehr gern. Die Konsequenz seiner Arbeit, die nicht nur darauf aus ist, die vorgegebenen Strukturen zu bedienen, sondern den Akt des Komponierens selbst reflektiert, ist eine Rarität innerhalb der österreichichen Musiklandschaft.
Ich habe gelesen, dass Sie seit 1980 bis zum heutigen Tag an einer - bis dato 36-teiligen - Werkreihe mit dem Titel "weiss/weisslich" arbeiten, in der das Rauschen eine zentrale Stelle einnimmt. Eine Lebensaufgabe, wie es scheint?
Ich selbst habe mich mit Notation vor allem in meiner "Gesellenzeit" beschäftigt. Danach rückte dann der Interpret, der Instrumentalist, das "Tun" in der konkreten Aufführungssituation ins Zentrum meiner Auseinandersetzung. Und heute ist es der Hörer, bzw. das Hören, die Wahrnehmung, und die Frage wie Wahrnehmung eigentlich "geht".
Das heißt aber nicht, daß vorangegangene Aufgabenstellungen irrelevant geworden sind, sie stehen nur nicht mehr ganz im Vordergrund.Die "Weiss/weisslich"-Reihe wurde 1999 konzeptuell abgeschlossen - auch wenn weiterhin Varianten zum Zyklus hinzustoßen, sind das im Wesentlichen Dinge die zwar skizziert aber noch nicht abschließend realisiert sind. Und "Weiss/weisslich" war ja nur eine von mehreren parallel sich entwickelnden Serien. Seit 1999 etwa versuche ich aber - mit gemischtem Erfolg - diese vielen getrennten "Notizbücher" in ein einziges, "goldenes" Notizbuch zu überführen, die verschiedenen Stränge meiner Betätigungen in einem einzigen Stück zusammenlaufen zu lassen.
Auf Ihrer Website ist das schöne Beispiel angeführt: "Der heiße sommerliche Ostwind strich durch die Felder, und plötzlich hörte ich das Rauschen ... Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich außerhalb eines ästhetischen Zusammenhangs (etwa eines Konzerts) wirklich hörte. Oder es war überhaupt das erste Mal, dass ich hörte ...". Ebendiesen Motiven scheint auch die Kompositionen "Schilf" (Haus am Waldsee, Berlin) geschuldet?
Ja, das auffallendste Merkmal der "Weiss/weisslich"-Serie ist natürlich das Rauschen. Und dieses hat auch nach 1999 nicht aufgehört, mich zu beschäftigen. Im Nachhinein finde ich es schon erstaunlich, daß es noch in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts (also in der weit fortgeschrittenen Postmoderne) möglich war, so eine grundlegende Thematik des Klingenden und der Akustik für sich zu entdecken und künstlerisch nutzbar zu machen. Das Rauschen ist ja in gewisser Hinsicht der ursprünglichste aller Klänge, und deren Totaliät, die Summe aller Klänge, vergleichbar dem weissen Licht, das alle Farben enthält.Abgesehen von den fundamentalen physikalischen Eigenschaften des Rauschens möchte ich meinen, daß das Rauschen auch der erste Klang überhaupt gewesen sein könnte, welcher dem Menschen bewußt wurde, ihm als ein "Anderes", Überwältigendes, als "Erhabenes" gegenüberstehen konnte in Form des Meeres, eines Wasserfalls, oder des Rauschens der Bäume. Wir wissen zumindest aus den Mythen, daß Baumrauschen als Orakel gedient haben konnte. Ein bewußtes und aufmerksames Hinhören auf dieses "Andere" daher bereits dieselbe Funktion hatte wie heute: nämlich Spiegel zu sein für unsere Projektion und Wahrnehmung.
In die gleiche Reihe gehört offenbar "Arboretum. Eine Komposition für 20 Bäume und Wind", die als Rahmenhandlung den größten Raum der "Landschaftsoper Ulrichsberg" einnimmt, während die anderen sechs Teile Mitte Juni mit dem großen Fest an der Großen Mühl (13.6.) finalisiert sind. Seit wann arbeiten Sie an dieser Landschaftsoper?
Was sind die zentralen Beweggründe?
Schilf hat einen ausgesprochen hellen und scharfen Klang, der sich daher besonders gut eignet, sich innerhalb des Spektrums verschiedener natürlicher Rauschklänge der Unterschiede bewußt zu werden: Eine Verführung zum Hinhören - nicht nur auf das Schilf selbst, sondern auch auf alles andere, von dem es sich unterscheidet!Aus der Mitte der 90er Jahre stammt ein Stück der Weiss/weisslich-Reihe das aus Baumrauschen besteht: 18 verschiedene Bäume wurden aufgenommen und hintereinander geschnitten, so daß im Schnitt die Unterschiede der jeweiligen Klangfarben des Rauschens klar hervortreten. Zur gleichen Zeit hatte ich das Stück "Weiss/Weisslich 26, Skizzen für ein Arboretum" entworfen, der Plan also, Bäume nach akustischen Gesichtspunkten zu pflanzen. Da ich nicht damit rechnete sofort eine Möglichkeit zu erhalten für die Umsetzung eines solchen Konzepts, bestand das Stück daher erst mal als ein sich über die Jahre hinweg ständig erweiterndes Notizbuch mit Beobachtungen in der freien Natur und verschiedenen Gestaltungsideen zu speziellen Anordnungen für solche Baumpflanzungen. Ca. 12 Jahre nach der ersten Skizze ist nun im April 2008 das erste Arboretum in Ulrichsberg gepflanzt worden. Aber natürlich ist damit wieder nur ein weiterer Schritt getan auf dem Weg zum eigentlichen Arboretum, denn die Bäume sind noch jung, und bieten dem Wind (der an der ausgesuchten Stelle angeblich "immer" bläst) noch nicht genug Widerstand um richtig zu klingen. Die Bäume müssen erst wachsen, das Stück wird erst in 30 bis 40 Jahren seine volle Entfaltung erfahren. Es ist also ein besonders nachhaltiges Projekt!
Gleichzeitig stellt das Arboretum den ersten Akt der "Landschaftsoper" dar, welche 2009 in und um Ulrichsberg stattfindet. Zu den anderen 6 Akten zählen ein umfangreiches Klangarchiv mit Audiomaterial von Ulrichsberger Alltags- und Umgebungsklängen; eine ebenfalls klanglich motivierte Wanderkarte mit Hörstationen; ein Schülerprojekt, eine Klavierinstallation im Schaufenster eines zentral gelegenen Autohauses, eine Videoinstallation mit 18 portraitierten UlrichsbergerInnen im Pfarrsaal, und der abschließende konzertante 7. Akt, wo Bierzeltatmosphäre und Symphonieorchester aufeinander losgelassen werden.
Das Konzept der Oper insgesamt entspricht ganz dem früher erwähnten Bemühen, die unterschiedlichen Tendenzen meiner Arbeit zusammenzuführen: Konzert, Installation, Hörphänomenologische Untersuchungen, Ökoakustik, etc...
Andererseits wird durch diese Zusammenführung das Konzept des klassischen Musiktheaters, in der ja auch die unterschiedlichen Künste zusammenarbeiten thematisiert. Das Musiktheater allerdings lebt von einer strengen Hierarchie durch welche Musik, Libretto, Bühnenarchitektur, Kostüme, Beleuchtung, etc. auf der Bühne zusammengeschweißt erscheinen. Dieses spezifische Bühnen-Amalgam ist im Wesentlichen seit den Anfängen der Oper im frühen 17. Jahrhundert bis zu den Werken heutiger Avantgardekomponisten gleich geblieben.
Mein Ansatz ist es dagegen die beteiligten Künste in einem ersten Schritt von einander zu separieren, um ihr spezifisches Potential, und vor allem die je unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Rezeptionsweisen zugänglich zu machen. Um das zu erreichen wird tendenziell jeder einzelnen Kunstform ein eigener Akt zugewiesen. Aber auch Aktivitäten, die nicht unbedingt Kunst sind, etwa soziale oder ökologische Projekte, können Akte bildend sein. In einem zweiten Schritt werden die so getrennten Akte mit einem Netzwerk subtiler Beziehungen untereinander verknüpft - zum Beispiel können Sätze die in der Videoinstallation gefallen sind, als "vertonte" im konzertanten Teil wieder auftauchen, oder es kann Orten denen frau beim Hörwanderweg begegnet, später im Klangarchiv nachgehört werden -, sodaß zwar weiterhin jeder Akt für sich allein bestehen kann, aber in der Wahrnehmung des aufmerksamen Hörers und Besuchers eine weitere, im Grunde imaginäre Ebene entsteht, die sich über die verschiedenen Akte hinweg entfaltet.
Nicht zuletzt durch die Miteinbeziehung von Arbeitsweisen, die nicht eindeutig der Kunst zuzurechnen sind - auch das Audioarchiv ist so ein Fall - verlässt das Setting dieser Oper die Vorgaben des in sich geschlossenen und vom Leben abgetrennten "Gesamtkunstwerks". Erfahrung beschränkt sich nicht allein auf Kunst. Das "Gesamtkunstwerk" wird zum "Gesamtwerk".