Wolfgang Hofer:
Dazwischen
Versuch, Ablingers Opera zu verstehen
Ich habe nichts als Rauschen ...
RUDOLF BORCHARDT
... und den Geräuschen des Tages
zu lauschen, als wären es die
Akkorde der Ewigkeit.
KARL KRAUS
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2. Ansatz: Die Künste, das Kunstspartenübergreifende,
das Zusammenwirken der verschiedenen Künste unter
dem Dach der Oper (wobei allerdings nicht auf bereits
erprobte Formen dieses Zusammenwirkens zurückgegriffen
wird...)
3. Ansatz: Oper ist etwas Gesamtgesellschaftliches, nicht
nur ein privater Diskurs einiger intelligenter Menschen
(Streichquartett), sondern betrifft einen größeren Radius
(allein schon weil sie viel Geld kostet). Und daher wird
nicht nur erwartet, dass die Gesellschaft in die Oper geht,
sondern die Oper geht hinaus in die Gesellschaft...
aus den Notizbüchern zur Stadtoper
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Man sagt zurecht, jemand verstehe etwas von Kunst. Nicht: man verstehe
sie, man verstehe Kunst. Das gilt es, vorab zu bedenken, lässt man
sich auf die ästhetische Arbeit von Peter Ablinger nachhaltig ein. Und
ohne Nachhaltigkeit geht da von vornherein gar nichts, auch wenn vieles,
was einen dann mitnimmt, so leichthin aussieht, sich ausnehmend
wie höheres Nebenbei. Da ist allemal ein überraschend Epatierendes
darin, das nachgeht, mit oder ohne Zeitzündung der Erkenntnis. Allemal
ist etwas besonderes in diesen Ereignislandschaften für alle und keinen,
etwas, das en passant vollkommen neue Dimensionen eröffnet.
Etwas, das in andere Horizonte von Bewusstsein und Erfahrung versetzt.
Etwas, das vielleicht nicht sogleich, womöglich erst auf den zweiten
Blick, durch ein Auf-Hören mit dem dritten Ohr Staunen macht,
„buchenswert“ ist und merkwürdig – des umfassenden Merkens (auch
nebenbei) würdig – bleibt. Nimmt man demnach wirklich wahr, was da
alles auf einen zukommt, sieht nachher alles ganz anders aus. Unsere
Welt zwischen Wille und Vorstellung inklusive. Es geht darum, die Sinne
aufzuwecken. Es geht um gesteigerte Konzentration, um die Bündelung
und Fokussierung von Aufmerksamkeit. Die Sache ist einfach kompliziert.
Resumierbar und aufgehoben in dem scheinbar so schlichten
Grund-Satz: „Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele.“ – Der
Satz stammt zunächst einmal aus der Feder des Nicole de Malebranche.
Eine Meditation über die Seele und die Formen des Geistes. Ein anderes
aber ist es, bedenkt man Geschichte und Überlieferung, die dieser
Depesche zuteil wurden. Der Satz findet sich nämlich wieder in dem
epochemachenden Essay, den Walter Benjamin dem Dichter Franz
Kafka gewidmet hat. Dort hat ihn späterhin noch jemand gelesen und
dabei etwas Weiteres und Weiterführendes aufgelesen – Paul Celan.
Unter dem Blickwinkel der Aufmerksamkeit hat er etwas wiedergefunden.
Etwas Besonderes und Unverlierbares zwischen dem Raum und
den Zeiten: das Gedicht, will sagen die Kunst. Der Dichter spricht:
Das Gedicht wird zum Gedicht eines – immer noch –
Wahrnehmenden, dem Erscheinenden Zugewandten,
dieses Erscheinende Befragenden und Ansprechenden;
es wird Gespräch ...
Erst im Raum dieses Gesprächs konstituiert sich das Angesprochene,
versammelt es sich um das es ansprechende und nennende Ich. Aber
in diese Gegenwart bringt das Angesprochene und durch Nennung
gleichsam Du Gewordene auch sein Anderssein mit. Noch im Hier und
Jetzt des Gedichts – noch in dieser Unmittelbarkeit und Nähe, lässt es
das ihm, dem Anderen, Eigenste mitsprechen: dessen Zeit.
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DER HELD/ ist der Hörer/ – niemand sonst/ DER GRAL, hinter dem er (der Held/Hörer)/ her ist, ist die/ Wahrnehmung;/ Der Gral/oder die Isolde;/ Wahrnehmung gibt es nur durch
Intentionaliät;/ Intentionalität ist Liebe, Begehren/ Der Held liebt/begehrt Isolde/den Gral/ Welche Drachen und Konkurrenten gibt es zu überwältigen, um Isolde/den Gral zu
erringen?
aus den Notizbüchern zur Stadtoper
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Wir sind, wenn wir so mit den Dingen sprechen, immer auch bei der
Frage nach ihrem Woher und Wohin: bei einer „offenbleibenden“, „zu
keinem Ende kommenden“, ins Offene und Freie weisenden Frage –
wir sind weit draußen. Das Gedicht sucht auch diesen Ort.
Es befindet sich stets auf der Suche nach dem hic et nunc zwischen
dem Raum und der Zeit – das Gedicht, will sagen die Kunst. Vielleicht
sind sie labyrinthisch verschlungen, die Wege der Kunst.
Vielleicht bahnt sie sich gerade auf Umwegen ihre weglosen Wege
– die Kunst. Indem sie sich nach besonders „weit draußen“ vorwagt,
werden sie vielleicht aber auch endgültig besänftigt – die wegverstellenden
Furien des Verschwindens. „Nichts ist wahr, doch
möglich, dass sich Anderes ereignet“: bildlos/weglos. Gerade dann,
wenn es scheinbar keine Wege mehr gibt, gilt es, weiter zu gehen.
Unterwegs bleibend im plus ultra. Bis sie sichtbar werden, die
Zonen der Niemandsbezirke zwischen den fließenden Grenzen
des Fruchtlands. Nur dort nämlich kann dann etwas dazwischen
kommen. Vielleicht im Lichte der Utopie, von den durchlässigen
Rändern hereinscheinend in das Geheime einer wiedergefundenen
Zeit. In den schwebenden Momenten einer Dialektik des Stillstands
kann sie dazwischen kommen – die Kunst. Sie ist das Dazwischenkommende.
So viel zuvor anlässlich von Peter Ablingers Opera / Werke. Diese
bedürfen weiterhin einiger Zwischen-, Vor- und Randbemerkungen:
Voraussetzungen also, samt Überlegungen über künstlerische
Korrespondenzen und die Koinzidenz
Auch der Satz, der den Eingang von Adornos Ästhetischer Theorie markiert,
der Satz von der Selbstverständlichkeit, dass nichts, was die
Kunst heute betrifft, mehr selbstverständlich sei, ist unterdessen alles
andere als selbstverständlich geworden.
Beim Versuch, Peter Ablingers Projekt Opera / Werke zu verstehen,
gilt es vorab, einige Präliminarien zu respektieren, einige Rahmenrichtlinien
zu erkennen. Allesamt darauf hinauslaufend, unser etabliertes
Verständnis der Kunst und der Künste zunächst einmal radikal
in Frage zu stellen. Entführung findet statt, ausgehend von dem
Alltäglichen, das uns umgibt und umstellt, ja bisweilen blendet. Entauch
Verführung, weggeleitend in unbekanntes Gelände, wegführend
in Territorien auch des scheinbar bislang Vertrauten, das doch noch völlig
unerkannt ist.
Man versetze sich zunächst einmal in den Zustand einer Naivität zweiten
Grades. Kunst hat auch mit dem Vergessen zu tun. Und – im Falle
Peter Ablingers – mit dem absichtsvoll Kunst-losen. Der Intention der
Intentionslosigkeit. Dem bedeutsamen Nebenbei im Groß und Klein. Mit
dem Dazwischen.
1. Akt
Ouvertüre
Nährboden für die weiteren Akte
Bestandsaufnahme
Kontingenz
das Nicht-Besondere
keine Kunst!
DAS-WAS-IST
Phonografie
reines Hören
der Hörsinn isoliert von allen anderen Wahrnehmungsformen
isoliertes Hören (Kopfhörer)
2. Akt
das Orchester als trojanisches Pferd:
um der Phonografie/den Stadt-Aufnahmen das größtmögliche
Podium zu verschaffen;
Orchester und Phonografien:
wie handkolorierte Photos;
Gegebenheit und Handschrift;
der Gegensatz von Kontingenz und Kultur,
der Gegensatz von Kontinuum (Geräusche, Leben) und Raster
(Musik, Wahrnehmung);
Konzertsituation, kollektives Hören
3. Akt
die Worte
Geräuschprotokolle und Fiktion
das Gehörte und das Fantasierte
das Lesen und die Vorstellung
das Buch als Buch
privates Lesen an privaten Orten
aus den Notizbüchern zur Stadtoper
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4. Akt
Weiß
die Summe aller Klänge
die Unmöglichkeit als Erfahrung
Erfahrung als Handlung
Erfahrung von Nichts (Alles)
die Zuhörer/Zuschauer/Erfahrenden als kleines Ensemble auf der Opernbühne
5. Akt
große leere ("Projektions"-)Fläche im öffentlichen Raum
Ausblendung des Visuellen
Kulisse für das Hören
für den Hörer
den Stadtbewohner
den eigentlichen Helden der Stadtoper
6. Akt
Stuhlreihen: der klassische okzidentale Hörort, in der
Berührung mit sonst nicht weiter hörenswert Erscheinendem,
in der Berührung auch mit den sonst nicht in eine Oper
Gehenden,
der Hörvorgang selbst als Skulptur,
individuell oder in Gruppen
7. Akt
Sehen und Hören,
Asynchronizität der Sinne,
die Differenz zwischen gehörten und gesehenen Orten,
die unweigerliche Konstruktion von Fiktion beim Aufeinanderprallen
von kontingenten Gegebenheiten (Bild und Ton),
die Differenz zwischen individueller Fiktion und
Gesellschaftsereignis,
die Differenz zwischen Wahrnehmung und Wahrnehmung der
Wahrnehmung:
die Konstruktion von Wirklichkeit
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Ablingers Ab- & Um- & Zuleitungen
Zwischenräume sind keine Elfenbeintürme. Als Wohnsitze der Kunst
freilich noch schwerer dingfest zu machen. Peter Handke etwa hat sich
zu ihrem ständigen Bewohner erklärt, auch Friederike Mayröcker hat sich
darin ihr poetisches Sakramentshäuschen eingerichtet. Schon daran
mag kenntlich werden, dass der genaue Aufenthaltsort nicht wirklich
exakt lokalisierbar sein kann. Zwischenräume sind durchlässig. Und es
muss verschiedene Zwischenräume geben. Mit unbestimmtem Wohnsitz,
also ganz dicht dem Odradek Franz Kafkas benachbart. Auch Peter
Ablinger ist als Künstler nicht nur Besucher, sondern Stammgast in den
Zwischenräumen. Besonders als Komponist nimmt er uns dorthin mit, ist
doch die Musik als Zeit-Kunst selbst ein transitorisches, zugleich höchst
ephemeres Phänomen.
Angesichts solcher Konstellationen stellt sich zunächst die grundlegende
Frage, wie das Kontinuum unserer Wirklichkeit – hier also der gesamte
Kosmos einer „Stadt, die singt“ – auf die Musik übertragen werden
kann.
Dazu bedarf es bestimmter Strategien und künstlerischer Verfahrensweisen,
mittels derer das Gesamtspektrum des Realen in
eine ästhetische Skala von Möglichkeiten übersetzt werden
kann. Peter Ablinger spricht in diesem Zusammenhang von
einem „Quadraturen-Prinzip“. Demnach wird das große Ganze
durchdekliniert, in diskreten Schritten ausdifferenziert. Einer Art
„Rasterung“ unterzogen, wobei ein Frequenz- und ein temporaler
Raster einander ergänzen. Der eine definiert das chromatische
Spektrum der Klangwelt, der andere ihr sukzessivdynamisches
Erscheinen in der vergehenden Zeit. Quadraturen-
Prinzip und Rasterung markierten zunächst also die Ausgangspunkte
zu den – sich ständig erweiternden und verändernden
– Grundrissen einer offenen ästhetischen Geometrie. Der Rest
ist Exaktheit und Konsequenz der Recherche in den Rätselbezirken
von Quadratur und Zirkel.
Wäre das Wirkliche nämlich das Gesamte eines alles umfassenden
Kreises, so wird dieser durch Prozesse der Segmentierung und Selektion,
Nuancierung und Reduktion so lange in jene unendliche Folge
von Punkten zerlegt, bis an deren Enden schließlich der entscheidende
Eckpunkt sichtbar wird. Als Wendepunkt. Nunmehr als Kreuzungspunkt
und Umschlagplatz vielleicht jenes geheime Quadrat in
den Binnenzonen und Zwischenräumen, wo aus dem Allgemeinen
das Besondere entspringt. Als Dazwischenkommendes. Als Kunst.
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Die Kulisse bzw. statt Kulisse ein Stadtradio, ein ständiges Symposion über Klangökologie und akustische Stadtplanung, mit Tips für Kneipen ohne Musik// Kulissen (Plural)
mehrmalige Doppelwand in Plakatwandgröße mehrmals in der Stadt, an verschiedenen Stellen weiß, zum Beschmieren „Stadtbilder“ evt. auf den Boden gelegt, zum
Drüberlaufen und beschmutzen, oder aufrecht neben einer Straße mit großer Pfütze (Action Painting)
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das Symposion, als Symposion also live Palais Saurau etc. 3 Tage, 15
Redner// „Heilige Orte“, Hinweise als Kulisse? Konkurriert dann aber mit Bestuhlung evt. doch Hinweise (Liste) statt Bestuhlung// Der Dramaturg Texte in versch. Medien die
die Musik begleiten Zeitungsannoncen, Plakate, Radiofeatures Internet// Notfalls (kostet nix) werden Akte 5 und 6 zu Die Dramaturgie (die sozialen Muster) und Die Kulisse
(Hinweisstück, Hinweise auf Orte)// andere Akte: Die Primadonna: Fotoserie Das Parkett: Interviews mit Vorstadt – Schülern... Der Applaus: Die Publikumsbeteiligung, eine
Aufgabe stellen, Almosen verteilen
aus den Notizbüchern zur Stadtoper
Da würde sich am Ende also etwas runden, ohne geschlossen zu sein.
Doch damit nicht genug. Ins Extrem weitergedacht nämlich würde die
Metaphorik der Quadraturen des Kreises weiter führen zu den im Endlosen
sich berührenden Enden der Parabeln. Dort würden die Horizonte
horizontlos durcheinandergewirbelt. Universales Allerleirau. Mit
Künstlern, deren Kopfgeburten mitten im Weltall schweben, während
ihre Füße doch mitten im Bodensatz des Lebendigen stecken.
(Zwischenfrage: lieber den gordischen Knoten in der Hand, als unfassbar
lang die offenen Luftwurzeln...?)
Es gilt, hier innezuhalten. Es ist Zeit, umzukehren. Kunst ist keine
moderne Kosmologie. Kunst ist – besonders im Dennoch – mehr und
anderes als die „Unendlichkeitssprechung von lauter Umsonst“. Und
Peter Ablinger wäre nicht Ablinger, würde er im bunten Metapherngestöber
nicht jene entscheidenden Partikel auffinden, die für das Eine
einstehen, das man sonst so oft zwischen dem Hundertsten und dem
Tausendsten vergeblich sucht.
Ad fontes
Stadtoper Graz also. Es kommt hier nicht nur auf die Kunst
an, sondern auf das differenzierte Ensemble der verschiedenen Künste.
Auf eine spezifische Bereicherung ihres Alphabets und die präzise
Erweiterung ihrer Begriffe. Auf
Opera / Werke gewendet, bedeutet
dies vor allem: Umdenken. Andere Streuung des Bewusstseins. Zweite
Reflexion. Neu anfangen mit den so einfachen wie ernsthaften Scherzen
um das immerwährende Spiel vom Fragen: Sehen und hören wir,
was ist? Was wirklich „wirklich“ ist? Antwort: Wir nehmen (nur)
unsere Möglichkeiten wahr. Wie aber nun eine adäquate Relation herstellen
zwischen einer diffusen Akustik des Alltags und den etablierten
Hörweisen einer kulturellen Konvention, die wir musikalisch nennen?
Wir vernehmen etwa Geräusche, aber wir nehmen sie nicht wirklich
wahr, wir überhören sie. Was aber dann, wenn Musik zunächst
nichts anderes wäre, als eine akustisch potenzierte Erscheinungsform
gestalteter Geräusche?
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Hörspaziergang, BESTUHLUNG evt. Stuhl + Rahmen (ohne Mikrofonierung)/ „Particel“ „Klavierauszug“
aus den Notizbüchern zur Stadtoper
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Es kommt auf die Wahrnehmung an. Das Erkennen selbst ist – nach
Botho Strauß – „effektives Handeln, rastloses Erschaffen. Was wir als
bewußte Wahrnehmung empfinden, ist in Wahrheit die Fokussierung
des Gehirns auf eigene, in einem bestimmten Augenblick besonders
stimulierte, interne Prozesse. Isolieren, Auswählen, Scharfstellen, Stabilisieren.
Nicht der Gegenstand löst die Empfindung aus, ihn betrachten
zu wollen, sondern eine namen-, bild- und scheinlos streunende
Empfindung sucht sich eine Selbsterfüllung, in der ein Gegenstand
betrachtenswert erscheint.“
Im Falle von
Opera / Werke kommt alles auf das bewusste Hören an.
Das Hören des Hörens. Es geht um ein besonderes Auf-Hören. Ein Nach-
Horchen. Ein lauschendes Losen. Jedes einzelne der sieben Werke ist
entscheidend um den Fokus des Hörens konzentriert. Dieser Appell ist
nicht zuletzt deshalb emphatisch zu nehmen, als eines der letzten prägenden
Werke für Musik und Szene, Luigi Nonos Prometeo, nicht
zufällig den Untertitel einer „Tragödie des Hörens“ mit sich trug.
Peter Ablingers
Stadtoper Graz firmiert unter dem Überbegriff
Opera / Werke. Insofern schwingt da etwas mit, was man den Überhang
der Tradition von Oper nennen könnte. Nur dass deren überkommene
Muster und Modelle hier vollkommen außer Kraft gesetzt
werden. Der berühmt-berüchtigten Opern-Frage: „Wie fang ich’s
nach der Regel an?“ – wird mit der Parole „Ihr stellt sie selbst und folgt
ihr dann“ erstmals ernsthaft Paroli geboten, indem die hier erstellten
Regeln radikal und konsequent verweisen und Kurs nehmen auf
neue Territorien in der heutigen Kunstlandschaft. Auf die Werke, die
als Ganzes schließlich mehr ergeben als die Summe ihrer Teile. Eine Art
Opera eben. Als Ensemble voneinander unabhängiger und doch konkret
aufeinander bezogener Werke. Mithin nicht zu verwechseln mit
dem, was man gemeinhin „Gesamtkunstwerk“ nennt.
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zu: Die Handlung/ DAS DAS HÖREN TRANSZENDIERENDE HÖREN Die oberste der 9 Stufen des „No“/ Der Stil der Blüte von geheimnisvoller Einzigartigkeit/ „Um Mitternacht
strahlt im Shinna hell die Sonne“/ ... entzieht sich jeglicher Beschreibung in Worten/ und ist mit Denkprozessen nicht zu erfassen.../ Diese ästhetische Wirkung des „das Hören
transzendierenden Hören“ ist selbst die Blüte von geheimnisvoller Einzigartigkeit
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Akte/ 1 außen Die Dinge, Tatsachen/ 2 1Schritt von außen (Orchester)/ 3 1Schritt von innen (Libretto)/ 4 innen 5 1Schritt von innen (Kulisse)/ 6 1Schritt von außen (Stühle)/ 7 außen Die Dinge/ Struktur von Jürgen Becker: Ränder (1968)/ 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11/ leer/ die höchste der Stufen ist auch die abstrakteste/ und innen/ nicht am Schluß/ Entsprechung II und VI/ (Orchester und Stühle): bearbeitete, manipulierte, inszenierte Wirklichkeit/
Umkehrung: II Umwelt im Orchestersaal/ IV Orchester-artiges Zuhören in der Umwelt
aus den Notizbüchern zur Stadtoper
Natürlich ist die
Stadtoper Graz Werk für Werk auch Teil einer ästhetischen
Toposforschung im Sinne von Grenzüberschreitung. Es geht um
Erweiterung im Sinne von substantieller Reduktion, Bündelung und
Vernetzung. Im Sinn eines offenen Netzwerks. Aber das allein ist es
noch nicht. Denn die Werke selbst sind eigentlich erst das Werkzeug.
Das Werk-Zeug als kleines oder großes Organon für die Kunst. Jener
Stoff, aus dem Akt für Akt deren Träume werden.
Richard Wagner hat die Musik als „Kunst des Übergangs“ definiert.
Hier, im Falle der Opera / Werke, wäre von einer Kunst zu sprechen,
die erst in den Übergängen entsteht. In den Momenten einer konkreten,
erfüllten Vermittlung, der reflektierten Rezeption. In dem
einen, alles entscheidenden und eigentlichen AKT der PERZEPTION, der
sinnlich-bewussten Wahrnehmung und Erfahrung. Alles ist Durchgang.
Metamorphose. Im Brennpunkt des Hörens. Genauer noch: im
Hören des Hörens. Dieses, das Hören transzendierende Hören, ist das
Dazwischenkommende. Sie ereignet sich im Dazwischen, die Kunst. Das
eigentliche Werk passiert an der Grenze, der „Kairos“ passiert jenseits
der Grenzen, dort, wo die Werke als Organon enden. Insofern wäre
die
Stadtoper Graz auch ein Passagenwerk.
In der Kunst und den Künsten kommt immer etwas dazwischen. Zur
Erinnerung: ein Aphorismus und eine Anekdote. Er habe, hat Paul
Cezanne einmal Gustave Mallarmé gegenüber bemerkt, so viele Ideen
für Gedichte. Erstaunt soll dieser erwidert haben: „Aber Gedichte
macht man doch nicht aus Ideen, sondern aus Worten“. Analoges hat
Arnold Schönberg einmal zum Ausdruck gebracht, indem er bemerkte:
„Ich male doch ein Bild, nicht einen Stuhl.“
So viel zur Kategorie der Differenz im Dazwischen. Man kann diese
ästhetische Dialektik auch mit einem allegorischen Bild Peter Ablingers
exemplarisch beschreiben. Man stelle einen Stuhl in eine Landschaft,
sagt er, hinzufügend, das sei noch gar nichts. Erst indem sich jemand
dort hinsetzt, hebt das Werk eigentlich an. Als Momentform des
Hörens. Erst der Hörvorgang ist das Werk. Das Hören selbst wird ausgestellt.
In solchen Formen der Installation oder Exposition stellt sie sich ein,
tritt sie dazwischen, die Kunst. So wie die opaken Dessins eines ungemalten Bildes im furiosen Fabulierstrom der Bildbeschreibung des Heiner
Müller erst im akuten Akt des Lesens Umriss, Kontur und Gestalt annehmen.
Das Werk und das Myzel
Die Leute nehmen an, das Werk sei das was man sieht oder
hört: die Aufführung, die Installation, das Gemachte. Sie
identifizieren das Werk mit dem Sichtbaren (Hörbaren). Aber
das Sichtbare (Hörbare) ist nur die Spitze des Eisbergs –
allerdings ist „Eis“ nicht die passende Metapher.
Das Werk ist eher wie das Pilz-Myzel, das Unsichtbare,
Unterirdische. Es kann gigantische Dimensionen annehmen,
größer als ein Wal, größer als ein Mammutbaum. Es läßt sich
auch nicht sicher einordnen: ist es ein Tier? oder ist es
eine Pflanze? Das Sichtbare (Hörbare), das „Stück“ entsteht
eher durch äußere Umstände, durch Umstände der Umgebung:
Klima, Boden, etc. Wenn die Umstände stimmen, entsteht es
gewissermaßen von selbst, wie Pilze eben, an denen wir uns
erfreuen oder vergiften können, je nachdem. Aber das ist
nicht das, woran ich arbeite, das, womit ich mich
identifiziere. Wenn jemand ein Stück lobt oder kritisiert,
fühle ich mich nur bedingt zuständig und angesprochen. Es
ist für mich dann allenfalls ein Lob oder eine Kritik der
Umstände, die das Stück hervorgebracht haben. Das
Eigentliche, das Werk, das Myzel entzieht sich dem Blick
(dem Ohr). Es kann allenfalls durch die Kenntnis vieler
einzelner Stücke auf seine Ausdehnung und seine
Möglichkeiten geschlossen werden...
aus den Notizbüchern zur Stadtoper
In diesem Sinn kann der Leser zum erweiterten Autor werden.
Analog dazu der Hörer die begriffslosen Depeschen einer Musik auf
den konkreten Begriff musikalischer Gedankenbilder bringen. Das,
nicht zuletzt, bringt auch und besonders im Fall Peter Ablingers die
Einsicht einer veränderten Physiognomik des Künstlers selber mit
sich. Alle Maximen und Reflexionen seiner ästhetischen Praxis sind
dem künstlerischen Bestreben gewidmet, eigentlich nichts künstlerisches
zu tun. Dabei ist es nicht im geringsten um die Entkunstung
der Kunst bestellt. Vielmehr entspringt die Gesamtheit seines künstlerischen
Bestrebens aus einer Fluchtbewegung vor den Werken.
Ablingers ästhetische List der Vernunft ist in der Intention versteckt,
der Kunst zu entkommen durch Kunst. Durch eine letztendlich
unüberschaubare Galerie von Werken. Durch die Kreation
endloser Zyklen wie
Voices and Piano, Quadraturen, Weiß weißlich und so weiter.
Nicht die Utopie der Kunst überflügelt die Werke, die Utopie der
Werke überflügelt hierbei die Kunst. Das so genannte Ganze gibt es
nicht. Hier ist es tatsächlich das Unwahre. Die Stadtoper Graz ist von
ihrer gesamten ästhetischen Machart her der emphatische Prozess
einer Fragmentierung, und Segmentierung der Oper als traditioneller
Kunstform – unter dem spezifischen Signum des Hörens. In ihre
form-konstituierenden Einzelteile – also
Opera / Werke – zerlegt, werden
diese auf die Freilegung ihrer potentiellen Eigendynamik und
latenten energetischen Ressourcen hin überprüft. Was dabei an
innovativen Tendenzen zum Vorschein kommt, folgt in gewisser
Form der ästhetischen Devise Walter Benjamins, wonach eine wirklich
genau angeschaute Zelle Wirklichkeit den ganzen Rest der Welt
aufzuwiegen imstande sei. So hat Peter Ablingers breit gefächerte
Kunstarbeit in den diversen Disziplinen als imaginäre Fluchtbahn vor
dem Banalen zuletzt auch ein konkret benennbares Ziel. Im Aufruf
zu einem umfassenden „Depart“. Es geht um eine Maximierung der
Kunst unserer Wahrnehmung. Um gesteigerte Aufmerksamkeit. Es
geht darum, die Sinne emphatisch aufzuwecken. Auch wenn wir das
Sein nicht unmittelbar ändern können, so doch zumindest das Sensorium
unseres Bewusstseins. Und auch wenn wir die Welt (noch)
nicht wirklich verändern können, so doch unsere Wahrnehmung von
ihr. Dann mag vielleicht noch etwas anderes dazwischen zu kommen.
Nicht nur die Kunst.