Peter Ablinger:
Weiss/Weisslich 12 (1994/95)
12.1: Dorfkirchen der Mark Brandenburg 1-6
Rossow, Grabow, Hohenselchow, Zempow, Paretz, Alt-Krüssow
12.2: Dorfkirchen der Mark Brandenburg 7-12
Ketzür, Pechüle, Lietzen, Wildenbruch, Zollchow, Oderberg-Neuendorf
12.3: rechts-elbische Klosterkirchen
Lehnin, Heiligengrabe, Leitzkau, Zinna, Jerichow, Havelberg
Von jeder der insgesamt 18 Kirchen ist eine 40 Sekunden lange Aufnahme des Grundrauschens zu hören.
CD, Stereo, Gesamtdauer: 12 Minuten
mit technischer Unterstützung von Folkmar Hein und dem elektronischen Studio der TU Berlin
18 Silences
or:
What is the difference between one silence and another?
"Weiss/Weisslich 12" consists of recordings of ground noise in 18 different Brandenburg churches. Each church is recorded in relative silence, from which the most eventless 40 seconds were selected. The result is a stereo piece on CD in 3 parts, each part includes recordings of 6 churches connected by a simple cut, through which an otherwise hardly audible difference in the colour of the ground noise can be perceived. (English un-edited)
Sabine Sanio: Akustische Abbildungen
In Peter Ablingers Kompositionsreihe Weiß/Weißlich finden sich einige extrem einfache Verfahren zur Konfrontation mit der Wirklichkeit. Der Titel ist eine Anspielung auf das Weiße Rauschen, das technisch produzierbare Klangtotal, das alle Frequenzen vereint. Die Kompositionen stellen Abwandlungen und manchmal sehr primitiv erzeugte Annäherungen an dieses Phänomen dar. Eines dieser Stücke besteht aus drei Folgen von hart hintereinander geschnittener Aufnahmen verschiedener im Wind rauschender Bäume. In dem endlosen, nur bei starkem Wind manchmal fast dramatischen Rauschen erhält man leicht den Eindruck, als seien die steten, unvorbereiteten Wechsel der einzelnen Rauschbilder die einzigen wirklichen Ereignisse. Eine andere Komposition besteht aus zwei Folgen von Tonbandaufnahmen aus dem Inneren von Dorfkirchen in Brandenburg. Daß etwas zu hören ist, bemerkt man hier erst so eigentlich beim ersten Schnitt: das Rauschen selbst ist kaum von leerem Bandrauschen zu unterscheiden, erst wenn der zweite Kirchenraum zu hören ist, erkennt man die subtilen Differenzen am Rande der Wahrnehrnungsschwelle.
Diese Stücke haben den Charakter von Gelegenheitsarbeiten. Es sind akustische Abbilder, ähnlich Fotografien, nur daß man mehr Zeit benötigt, sie zu "betrachten". Das extrem monotone Geschehen macht es dem Hörer schwer, die Aufmerksamkeit über längere Zeit aufrechtzuerhalten, Ablinger hat deshalb die Dauer der einzelnen Sequenz auf 40 Sekunden beschränkt - Zeit genug, um die Monotonie wahrzunehmen, doch nicht so lang, daß das Interesse für das Geschehen schon völlig zum Erliegen käme.
Das Rauschen der Bäume wie der leeren Kirchenräume erzeugt einen unbestimmten Eindruck von Verlassenheit und Leere. Dies hängt vermutlich damit zusammen, daß wir dieses Rauschen als Hintergrundphänomen auffassen und die "wirklichen" Ereignisse vermissen. Ablingers akustische Abbildungen machen auf diese Weise eine Natur hörbar, die sprachlos und fremd bleibt. Es ist eine Natur jenseits der Naturbeherrschung durch den Menschen.
(Excerpt aus "Muster, Ränder, Tote Winkel", Positionen, 2000, Heft 44)
"Mich interessiert nicht einfach das Objekt,
nicht das Objektive.
Ich möchte eher herausfinden, wie wir uns zum Gegebenen verhalten.
Denn erst dieses Verhalten ist das, was das Wirkliche schafft.
Ich möchte also nicht einfach hören.
Ich möchte das Hören hören."
(P.A.3/95)
Schematischer Plan von Brandenburg und Berlin,
mit Einzeichnung der 18 aufgenommenen Kirchen:
1 Rossow, 2 Grabow, 3 Hohenselchow, 4 Zempow, 5 Paretz, 6 Alt-Krüssow
7 Ketzür, 8 Pechüle, 9 Lietzen, 10 Wildenbruch, 11 Zollchow, 12 Oderberg-Neuendorf
13 Lehnin, 14 Heiligengrabe, 15 Leitzkau, 16 Zinna, 17 Jerichow, 18 Havelberg
(Die Klosterkirchen von Leitzkau, Jerichow und Havelberg liegen zwar außerhalb der heutigen Grenzen von Brandenburg, können aber historisch gesehen als typische rechts-elbische oder brandenburgische Kirchen angesehen werden)
Das Stück besteht ursprünglich aus Aufnahmen
des Grundrauschens der 18 Kirchen.
Die Kirchen können aber auch besucht
werden. Schematischer Plan und Ortsnamen
sollen dabei helfen. Bei den Dorfkirchen
(112) erhält man den Kirchenschlüssel meist
beim zu erfragenden Dorfältesten. Die
Klosterkirchen (13-18) haben Öffnungszeiten.
The piece initially consisted in recordings of
the static noise of the 18 churches.
Now the churches may also be visited.
This should be possible with the help of the
schematic plan and the place names.
Keys to the village churches (112) may be
obtained from the village elder ask anyone
in the village. The monastery churches
(13-18) have opening hours.
"... die von Ihnen erwähnten Umweltgeräusche hört man dagegen vor allem bei Weiss/Weisslich 12, den Brandenburgischen Kirchen (je 40 Sekunden, wie bei den Bäumen), und es ist extrem verstärkt, denn tatsächlich waren fast alle vorhandenen Geräusche sehr weit entfernt; es ist also auch ein Studie über relative Stille, oder über die Relativität der Empfindung "Stille"; aber was mich noch mehr interessierte war, daß das stark angehobene Grund- und Mikrofon-Rauschen sich im Schnitt zwischen Kirche und Kirche manchmal unabhängig der Außengeräusche zu verändern schien, und das, obwohl ich strikt auf die gleiche Aufnahme-Methode (Pegel, Geräte, Aufstellung) geachtet habe. Habe ich also wirklich etwas vom Grundrauschen der Räume selbst erhascht?"
(aus einer Korrespondenz mit Götz Naleppa)