Peter Ablinger
Ein veränderter Begriff von Harmonie
Harmony and Electricity,
(rough english translation, pdf)
Bereits bei der ersten Fassung von
Weiss/weisslich 21 "analytische Integration" (für Becken und Streichinstrument) fiel mir auf wie sich dabei etwas am Harmoniebegriff änderte. Weiss/weisslich 21 ist immer für ein ganz bestimmtes Becken, welches auf sein Spektrum hin analysiert wird, während das Ergebnis der Analyse von Instrumenten zu einem ausgehaltenen Beckenwirbel dazugespielt - in den statischen Klang "integriert" wird.
Integriert klingen die Instrumente immer wenn sie die analysierten Formanten spielen. Wie immer komplex mikrotonal die resultierenden harmonischen Verhältnisse auch sein mögen, in Relation zu genau
diesem Becken gibt es keine harmonischere Relation. Ein Vergleich mit anderen als den analysierten Formanten zum selben Becken dazu gespielt, ließ den Zusammenklang tatsächlich desintegriert, beziehungslos und nicht-zusammenhängend erscheinen.
Konsonanz hätte danach etwas zu tun mit "enthalten sein", während Dissonanz ein "nicht-enthalten Sein" bezeichnete.
Ein paar Jahre später begann ich mit der
"Orte"-Reihe, wo nicht ein bestimmtes Becken, sondern ein bestimmter Raum analysiert wird, und zwar auf jene spektralen Anteile hin, die der Raum auf Grund seiner Beschaffenheit und Proportionen am meisten unterstützt. Wieder spielen Instrumente die resultierenden Frequenzen am jeweiligen Ort der vorangegangenen Analyse.
Auch hier zeigte die Gegenprobe - wenn also die "richtigen" Klänge am "falschen" Ort gespielt werden oder umgekehrt - ein unmittelbar erfahrbares Ergebnis. Die Töne klangen nicht nur seltsam matt und desintegriert, sie schienen sich vor allem deutlich weniger entfalten zu können und an den Ort ihrer Hervorbringung gebunden zu bleiben. Eine Qualität dieser "falschen" Klänge ist es, dass sie klar lokalisierbar bleiben.
Dagegen das zum Raum gehörende Spektrum - wie immer aperiodisch es auch sein mag - kann als harmonisch empfunden werden. Die Klänge entfalten sich ohne Nachdruck (ein Minimum an Energie ist nötig um den Raum auszufüllen) und der resultierende Klang ist nicht mehr lokalisierbar. Er scheint von überall zu kommen und nicht nur von dem Instrument das ihn eigentlich hervorbringt - oder besser
anregt.
Harmonie ist hier das unmittelbare Ergebnis einer Übereinstimmung. So gesehen kann selbst ein perfekt intoniertes C-Dur (ja auch ein C-Dur in reiner Stimmung) in einem Raum der selbst "in Cis" gebaut ist, als ein unharmonischer, desintegrierter oder dissonanter Klang erscheinen.
Harmonie und Elektrizität
Eine weitere Komplikation des auf den jeweiligen Raum ausgerichteten Harmoniebegriffs beobachte ich in der Elektrizität: Es gibt kaum noch einen Ort, innen wie außen, an dem nicht Elektrizität vorhanden ist und somit das elektrische Spektrum den jeweiligen Ort grundiert. Elektrizität grundiert nicht nur unsere soziale/ökonomische Welt sonder auch unser akustisches Umfeld. Ja, sie hat sich zu ihrer Voraussetzung gemacht. Und (gerade auch) Konzertsäale, Orte, die ursprünglich gebaut wurden, um uns von der sozialen/ökonomischen Welt abzuschotten, sind mit ihrer Licht- und Audiotechnik nicht nur davon betroffen, sondern gründen gerade auf der Voraussetzung Elektrizität.
Die Welt ist in Länder eingeteilt mit einer Stromfrequenz von 50Hz (zB. Europa) oder einer mit 60Hz (zB. Nordamerika). Die Welt reduziert sich, bis auf Ausnahmen in Bahn und Industrie, auf 2 Harmonien. Eine 50Hz Frequenz besteht aus einem Grundton zwischen Contra-G und Contra-Gis und allen seinen harmonischen Obertönen. Ein temperiertes oder "rein" intoniertes g oder gis - egal in welcher Oktavlage - generiert also unweigerlich eine Schwebung oder Dissonanz. Ein einzelner Ton erzeugt also bereits Inharmonizität. Harmonische Musik im strengen Sinne wäre nur mehr möglich, wenn sie sich an der örtlichen Stromfrequenz orientierte (und am Raum!).
Alles andere ist Dissonanz.
vergleiche / compare:
Hypothesen über einen romanischen Karner / Hypotheses On A Romanesque Chappel
Theorie der Mehrstimmigkeit / Theory of Polyphony
The 'Verticalisation of Time' in: IEAOV / Instrumente und ElektroAkustisch Ortsbezogene Verdichtung